„Höher. Schneller. Weiter.“
Zum Artikel "Neue Straßen? Am Geld liegt’s nicht!" (TV vom 18. Mai) https://www.volksfreund.de/nachrichten/themen-des-tages/neue-strassen-am-geld-liegt-s-nicht_aid-5946391:
Wie fast jeden Morgen nehme ich mir die Zeit, um den Volksfreund zu lesen. Schlagzeile - Deckblatt - Moselaufstieg. Sofort bin ich hellwach. Ich lebe in Igel und das sehr gerne. Das Thema Moselaufstieg liegt mir schwer im Magen. Schon geraume Zeit. Ich lese. Bleibe an der Zahl 60 Millionen Euro hängen.
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Ich lasse mir das auf der Zunge zergehen. 60 Millionen. Für eine Straße, die nur jemand wollen kann, der nicht hier lebt. 60 Millionen. Ich fange an zu träumen. Wenn ich Königin von Deutsch-land wäre oder Rheinland-Pfalz ... was würde ich mit diesem Geld machen?
Mir fallen sofort meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus ein. Mit sofortiger Wirkung würden alle da draußen, die für uns jeden Tag schuften in den Kliniken, bei der Feuer-wehr, im Rettungsdienst, Polizei, Altenheime, Gastronomie, Reinigungsfirmen, Handwerker, Erzieher und und und ... das doppelte Netto verdienen. Ein Traum. 60 Millionen. Zur Entlastung von der Stadt Trier. Okay.
Was ist mit Nachhaltigkeit? Gute, saubere Luft im Moseltal? Schon jetzt bleibt einem dort im Sommer die Luft weg. Der Moselaufstieg zerstört viele Hektar alten, gewachsenen Wald. Sauer-stoff. Nein. Höher. Schneller. Weiter. Mehr Verkehr. Mehr LKW. Mehr Tanktourismus. Mehr Möglichkeiten. Mehr Geld. Mehr. Mehr. Mehr.
Ich plädiere für Entschleunigung. Erhalten, was da ist. Unter meiner Regentschaft gäbe es kein Mikroplastik, keine Massentierhaltung, keine Umweltzerstörung. Keine Minijobs. Da wären Arbeitsplätze, die es einer Familie erlauben, ihre Kinder großzuziehen, ohne ihre Säuglinge schon in die Kita geben zu müssen, weil trotz Doppelverdienst das Geld nicht reicht. Ich merke, ich komme vom Hölzchen zum Stöckchen. 60 Millionen.
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Ich bete dafür, dass in den oberen Etagen, in denen Entscheidungen getroffen werden, die uns alle betreffen, Vernunft einkehrt. Die Augen wieder geöffnet werden, für den Blick aufs Große und Ganze. Weniger Druck, weniger Stress, weniger Umweltzerstörung, mehr Miteinander, Respekt, Wertschätzung für Mensch, Tier, Umwelt.
Ein Blick auf die Uhr. Ich muss los. Mit meinem Hund durch den alten, gewachsenen Wald. Wie lange werde ich dort noch die wundervollen alten Bäume sehen? Ich merke, dass mir das Ganze, als Naturliebende, ziemlich zusetzt.
Einmal durchatmen. Den Kopf nicht hängen lassen. Die Hoffnung auf Vernunft nicht aufgeben. Ich ziehe los ... und da ist er wieder. 60 Millionen. Wenn ich Königin.
Kerstin Kinzig
Igel